Wetterleuchten überm Kanapee am 6. September 2021

6. September 2021, 19.30 Uhr, Künstlerhaus, Lenbachlatz 8

Wetterleuchten überm Kanapee?

Wiederholt sich in unsrer Zeit das Biedermeier?, fragt Michael Skasa, stimmlich sekundiert von Jürgen Jung und Cathrin Störmer, musikalisch süffig und aggressiv begleitet von Julia von Miller und Titus Waldenfels.

… nach der Pause: kurze Vorstellung der Malerin Sybille Hochreiter.

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Interview:

Interview: Martin Blumöhr & Sybille Hochreiter im Künstlerhaus 6.9.2021

  1. Hier sehen wir eine Deiner Arbeiten gemalt mit Acrylfarbe auf Leinwand. Warum hast Du heute Abend für uns zur Vorstellung Deiner Arbeit dieses Bild ausgesucht?

    Zu der Bestrebung die Literatur mit der Bildenden Kunst des Seerosenkreises wieder mehr zu vernetzen, schien es mir passend die Arbeit mit dem Titel „Netzwerkvariation“ zu zeigen. Außerdem war mir wichtig, dass die Arbeit auch in den hinteren Reihen noch gut erkennbar ist und auf der Bühne einfach zu präsentieren, was bei meinen mehrteiligen, fein strukturierten Arbeiten schwieriger geworden wäre.

  2. Wie bist Du zu Deiner Malerei gekommen? Studiert hattest Du ursprünglich einmal Innenarchitektur an der Akademie der Bildenden Künste bei Professor Paulo Nestler aus München. Inwiefern war dieses Studium für Dein späteres malerisches Werk wichtig?

    Um an der Akademie zur Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden, war ein künstlerischer Nachweis zu erbringen. Ich hatte eine Mappe eingereicht, in der neben Möbelentwürfen und ähnlichem auch Malerei enthalten war. Mir hat die Innenarchitektur viel Freude bereitet, aber was mir an der Malerei so wichtig ist, ist das freie Arbeiten, ohne Vorgaben. Es steckt in meiner Arbeit beides, die Innenarchitektur und die Malerei, die Trennlinie ist nicht so klar zu ziehen.

  3. Kannst Du uns zum Schaffensprozess vielleicht noch ein wenig mehr erzählen? Bei unserem Atelierbesuch neulich, bei Dir in Bogenhausen, konnten wir uns von Dir zum Beispiel den Aufbau vom Entwurf zur fertigen Arbeit hin erklären lassen. Kannst Du diesen Prozess bitte dem Publikum ein wenig näher bringen?

    Da möchte ich mit dem Bildaufbau dieser Arbeit beginnen und mit zwei Konstruktionslinien, die nicht mehr zu sehen sind. Da ist einmal die Symmetrieachse für die Konstruktion, sie verläuft von links oben nach rechts unten, dann die Symmetrieachse für die Farben, sie verläuft von rechts oben nach links unten. So werden Farben und Linien symmetrisch gespiegelt. Soweit die Grundidee. Der eigentliche Schaffensprozess beginnt mit Ideenskizzen, dann mache ich einen Plan, bei dieser Bildgröße im Massstab 1:5. Ich zeichne ganz altmodisch mit Bleistift, Reißschiene und Winkeln auf Papier. Die Farbidee wird mit Buntstiften festgelegt. Dann erfolgt die Übertragung auf die bespannte Leinwand, wieder mit Bleistift und Winkeln. Die einzelnen Felder klebe ich ab, der Farbauftrag erfolgt mit Pinsel, oder Rolle. Acrylfarben trocknen schnell, so bearbeite ich Fläche für Fläche und Linie für Linie, nebeneinander, nie übereinander. Durch das Abkleben entsteht ein schmaler Farbgrat, den entferne ich mit einem chirurgischen Skalpell. Danach ziehe ich alle Kanten mit einem feinen Pinsel nach, das geschieht mit Zuhilfenahme einer Lupe. Dafür brauche ich viel Zeit und eine ruhige Hand.

  4. Du hast in dieser speziellen Form der Malerei eine eigene Bild- und Formensprache entwickelt, damit ist es Dir formal aber noch nicht genug. Oftmals hinterfragst Du spielerisch Effekte von Farbwirkung, Räumlichkeit oder sogar mathematische Formeln?

    Jede Arbeit hat ihre innere Logik. Eine lineare Rhythmik wird rechnerisch und konstruktiv ermittelt, Räumlichkeit erziele ich durch hell-dunkel-Modulation der Farben, auch ist die Interaktion der Farben ganz wichtig.

  5. Ein Grundthema dabei ist oftmals Stillstand und Bewegung. Was meinst Du damit?

    Alle meine Arbeiten folgen einem Bewegungsmuster, Linien und Farben sind oftmals gegenläufig angeordnet, oder gehen auseinander und wieder zusammen, wie bei der Netzwerkvariation. Hier haben die roten, parallel angelegten Linien eine die Bewegung stabilisierende Wirkung.

  6. Du konstruierst also mehr, als dass Du erschaffst. Wie geht das von Statten und woher beziehst Du Anregungen?

    Ich konstruiere zwar, aber die Konstruktionen werden doch von mir geschaffen. Sie gehen mir durch den Kopf, wie vielleicht einem Komponisten die Klänge. Außerdem kommt mir bei der Arbeit die Idee für die nächste. Die Anregungen kommen mit der Arbeit, mit dem Tun.

  7. Die meisten Konkreten, oder wie Du sie selbst lieber nennst, konstruktiv Konkreten, arbeiten mit den Grundfarben, Du aber bearbeitest den Farbraum weitaus komplexer… warum?

    Die Zuordnung der Grundfarben zu den geometrischen Grundformen geht auf Kandinsky zurück. Er entwickelte 1923, während seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus dazu einen Fragebogen. In dem Buch „Experiment Bauhaus“ schreibt Christian Wolsdorff, dass der Fragebogen so konzipiert war, dass das Ergebnis vorherbestimmt war. So ordneten die meisten Studierenden Gelb dem Dreieck, Rot dem Quadrat und Blau dem Kreis zu. Da ich nicht mit den geometrischen Grundformen arbeite, trifft auch die farbliche Zuordnung bei meinen Arbeiten nicht zu. Dagegen arbeite ich gerne mit der Farbenlehre von Alfred Hicketier, der mit der Mischung der Farben und ihrer Sättigung zu einem dreidimensionalen Farbraum mit 1000 Farben kommt. Jede Farbe hat einen dreistelligen Wert, immer in der Gelb-Rot-Blau-Anordnung. So ergibt z. B. Farbe plus ihre Komlementärfarbe immer 999. Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht.

  8. Zum Schluss noch eine Frage zum Seerosenkreis: Warum besuchst Du seit vielen Jahren die Treffen und inwiefern ist das für Dich von Bedeutung? Was gibt Dir das Format Literatur, was die bildende Kunst? Warum hältst Du den gemeinsamen Weg für wichtig?

    Die Literatur bedeutet mir sehr viel, außerdem liebe ich Geschichten. Die können Bilder auch manchmal erzählen, aber die bildende Kunst will etwas anderes leisten. Wir brauchen beides. Es ist die gegenseitige Befruchtung, die Ergänzung und der Austausch. Ich denke wir sind heute auf einem guten Weg des Miteinander.

    Netzwerkvariation, Sybille Hochreiter, Acryl auf Leinwand, 100 x 100 cm
    Netzwerkvariation
    Sybille Hochreiter
    Acryl auf Leinwand, 100 x 100 cm
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